Die Erscheinung im Schemersgrund
Der alte Siebmacher Lorenz Zang traf einmal bei der Rückkehr von einer seiner vielen auswärtigen Handelsgeschäfte am Schemersgrund, links am Klosterbuckel, einen Schäfer, der ihm ein seltsames Erlebnis schilderte:
Acht Tage vor dem Dreifaltigkeitssonntag erschien dem Schäfer eine Nonne, in der er die Äbtissin von Schmerlenbach zu erkennen glaubte. Der Hirte, nicht sonderlich erschrocken, fragte sie nach ihrem Begehr, und die geistliche Frau erwiderte: »Nächsten Sonntag ist Dreifaltigkeit, und du bist ein gilles (goldenes) Sonntagskind, dem viel Gnade von Gott gegeben ist. Du könntest mein Retter sein, wenn du tust, was dir befohlen. Ich komme am Sonntagfrüh um sechs beim Ave-Läuten in Gestalt einer Schlange und werde mich an deinem Körper entlang schlängeln. Du allerdings musst dabei stark sein, denn die kleinste Bewegung bedeutet Unglück für mich!"
Der Schäfer versprachs - und wirklich. Zu der vorgegebenen Zeit lag die Schlange vor ihm. Wie einen Kranz wand sie ihren geschmeidigen Leib an dem des Schäfers hoch. Doch, oh Schreck, als sie am Halse angelangt war, schüttelte es den guten Mann so heftig, dass sie zu Boden fiel und spurlos verschwand. Vom Walde her drang eine wehklagende Stimme und schon stand die Nonne wieder vor ihm. Sie machte ihm jedoch keine Vorwürfe, sondern bat ihn nur, an diesem Platz eine Eichel zu stecken.
In 300 Jahren, so sprach sie, werde hier ein großer Baum gewachsen sein. Aus dessen Stamm würde eine Wiege gefertigt werden und das erste Kind, das darinnen liegen würde, wäre wieder ein "gilles Sonntagskind" unter der besonderen Gnade Gottes zur Erlösung ihrer Person.